Der Klang der Orgeln
Wie entscheidet man, ob man in die großen Fußstapfen seines Vaters tritt oder lieber einen ganz neuen, eigenen Weg einschlägt? Nun, am besten hört man auf sein Herz – und im Fall von Oswald Kaufmann auch: auf den Klang der Orgeln! Seit 1997 ist der Orgelbaubetrieb seines Vaters nun schon in Oswalds geschickten Händen – und er führt damit nicht nur einen seit 1976 bestehenden Familienhandwerksbetrieb fort, sondern erhält vor allem ein wertvolles Kulturgut am Leben. Denn Oswald Kaufmann ist der einzige Orgelbauer Südtirols!
Ein „ganz normales” Handwerk?
Völlig unauffällig reiht sich Orgelbau Kaufmann in zig andere Betriebe der Deutschnofner Handwerkerzone ein. Und auch Oswald Kaufmann selbst ist bodenständig und sieht seine Arbeit, die bei Weitem nicht alltäglich ist, als eigentlich einfaches Handwerk an. In Wirklichkeit arbeitet er aber ständig daran, einem wahrhaftig königlichen Instrument neuen Glanz zu verleihen – oder es ganz neu zu erschaffen. Eine scheinbare Sisyphusarbeit, bei der viel Geduld und Fingerspitzengefühl gefragt ist. „Bei uns in Südtirol gibt es sehr viele alte, gute Orgeln aus verschiedenen Epochen und von verschiedenen Orgelbauern, daher bestimmt die Restaurierung den Hauptteil unserer Arbeit. So eine Restaurierung kann bis zu 12 Monate dauern, der Aufbau vor Ort einige Wochen”, erzählt der 50-Jährige inmitten unzähliger Orgel-Puzzle-Teile. „Auch ein Neubau dauert ungefähr so lange.”
Momentan liegt eine 150 Jahre alte Orgel aus Enneberg in seiner Werkstatt. „In den 1960er Jahren haben sie bei dieser Orgel Teile dazugebaut, wir tauschen die gesamte Spielanlage von damals aus, die Tasten und die Pedale zum Beispiel”, erklärt Oswald. Der Rost wird von jedem einzelnen Stift abgeschliffen, kleinste Filz- und Lederteile werden ausgetauscht, jedes Pfeifenventil von Staub befreit und jeder noch so feine Draht der Fundamentplatte wandert durch Oswalds Hände oder jene seiner Angestellten. Gerade arbeitet sein langjähriger Mitarbeiter Julian an einer großen Windlade und bessert mit Spänen kleine Risse aus. Millimeterarbeit. Der Orgelbauer verrät, dass es oft schwierig sei, bereits im Vorfeld den Arbeitsaufwand einzuschätzen. Kein Wunder.
Von Hölzern und Pfeifen und warum nicht immer alles so klingt, wie es klingen sollte
Hunderte, gar Tausende Orgelpfeifen liegen oder stehen überall in der 250 Quadratmeter großen Werkstatt, die einen gerade mal so klein wie ein Finger, die anderen meterhoch. Kein Zentimeter Platz wird vergeudet. Eingerichtet ist die Werkstatt wie eine Tischlerei, mit entsprechendem Material und Werkzeug.
Das Holz, das Oswald und seine Mitarbeiter verwenden, kommt großteils aus dem Eggental, direkt aus dem Sägewerk vom Nachbarn. :-) Wichtig im Orgelbau: eine feine Maserung, also dass das Holz langsam und die Jahresringe eng gewachsen sind und das Holz eine gewisse Festigkeit hat. „Bei uns ist es ansonsten nicht ganz so heikel, welches Holz wir verwenden – im Gegensatz zu den Geigenbauern, die selbst in den Wald gehen und sich ihr Klangholz aussuchen. Wir können den Klang mit der Intonation, mit Feilen und dem Stich relativ gut beeinflussen.” Trotzdem benötigt es für jede Arbeit das passende Holz: „Fichte oder Linde benutzen wir zum Fräsen, Zirbe zum Ausflicken eines Gehäuses. Lärche für einen Boden. Auch Nuss und Eiche verwenden wir.”
Der ursprüngliche Bestimmungszweck einer Orgel: Die Imitation eines ganzen Orchesters! Querflöten, Posaunen, Geigen, Trompeten – das und viel mehr soll mit den verschiedenen Registern nachgeahmt werden. Ein Register bedeutet nämlich immer eine bestimmte Klangfarbe. „Aus diesem Grund gibt es auch so viele verschiedene Pfeifenarten, zylindrische, hölzerne, metallische usw.”, erklärt Oswald. Neue Pfeifen bestellt er übrigens bei einem speziellen Pfeifenbauer in der lombardischen Stadt Crema. „Dabei muss ich äußerst genaue Angaben machen: Welche Legierung, welche Dicke, welche Materialdicke, welche Beinlänge … Für die Intonation sind wir verantwortlich.” Oswald Kaufmann hält sich eine Pfeife an die Lippen und bläst hinein. Ein relativ dunkler Ton erklingt. „Die Deckel in den Pfeifen müssen schön dicht sein, sonst stimmt der Ton nicht. Ohne Deckel klingt er gleich eine Oktave höher, hör mal!” Der Fachmann nimmt den Deckel weg und bläst nochmal hinein. Tatsächlich: Der Ton klingt höher. „Deswegen muss man sie neu beledern, damit sie schön abgedichtet sind.”
Damals und heute
Oswald Kaufmann ist in den Familienbetrieb hineingerutscht. „Irgendwann, als ich die Lehre in Ludwigsburg begonnen hatte, kam die Frage auf: WIll ich das überhaupt?” Nach seinem Praktikum in Wien habe sich diese Frage aber rasch in Luft aufgelöst, lacht er und ist sichtlich froh über seine Entscheidung.
Die Zeiten haben sich aber wohl geändert – und mit ihnen der Aufgabenbereich, erzählt der Deutschnofner und erinnert sich: „Mein Tata hat in Eggen bei einem Orgelbauer begonnen und hat sich so das Handwerk angeeignet. Wurden zu seiner Zeit immer neue Orgeln erbaut, so setzte man später immer mehr auf die Restaurierung, die auch immer mehr an Qualität gewonnen hat. Vor 30 Jahren wäre man wohl ausgelacht worden, hätte man von einer Restaurierung gesprochen. Heute ist es so, dass man nach der Sinnhaftigkeit entscheidet, ob ein Instrument erhalten werden soll oder nicht. Auch die Bürokratie ist heute eine ganz andere. Wir müssen alles penibel dokumentieren und auch fotografisch festhalten, auch die Angebote, die wir schreiben, beinhalten oft zwanzig, dreißig Seiten. Auch wenn wir einen Neubau machen, ist das eine lange Prozedur … Als erstes wird eine Kirche angeschaut, dann eine Studie und ein passender Entwurf angefertigt. Ein Konzept wird angelegt: Wie groß soll die Orgel werden, wie soll sie klingen? Es gilt viele Fragen im Vorfeld zu klären. Eine Orgel-Kommission berät die Kirche dabei. Das Denkmalamt ist oft involviert. Bis sich die Kunden entscheiden, sich die Orgel-Kommission und das Denkmalamt einig sind und alles Bürokratische geregelt ist, dauert es oft Jahre! Bei der Orgel, die wir gerade hier haben, mussten wir sieben Jahre auf den Startschuss warten. Früher war mit einem Blatt Papier alles getan!”
Heute wird Instrumenten mehr Wertschätzung entgegengebracht als damals. Wo man früher nur notdürftig repariert oder gar weggeschmissen hat, wird heute akribisch und mit der nötigen Hingabe an der Königin der Instrumente gearbeitet. „Kaum zu glauben, dass man im zweiten Weltkrieg sogar die großen Prospektpfeifen abgenommen hat, um Munition daraus zu machen. Damals wurden ganz viele durch billige Zinkpfeifen ersetzt … wenn überhaupt.”
Klingende Erinnerungen
Das älteste Objekt, an das Oswald jemals Hand anlegen durfte, war eine Eppaner Orgel aus dem Jahre 1682. „Ein Prachtexemplar aus dem 17. Jahrhundert … das war schon etwas ganz Besonderes”, schwärmt er, während er auf das Bild zeigt und gleichzeitig den Blick über seine vielen Fotos an der Wand schweifen lässt. Stolz ist Oswald aber in Wahrheit auf alle seine Arbeiten, egal ob Neubauten oder Restaurierung. Eine seiner wichtigsten Arbeiten war sicherlich die Orgel von Aigner im Brixner Dom oder auch Maria Weißenstein. Mittlerweile hat Orgelbau Kaufmann in ganz Südtirol Kircheninstrumente restauriert und beliefert. Letzthin, im Oktober 2019, wurde die Orgel in Katharinaberg erneuert. Einige seiner Referenzen reichen auch über die Landesgrenzen hinaus. Mittlerweile hat sich Oswald Kaufmann mit seinem „Nischen-Handwerk” einen Namen gemacht und ist für die nächsten drei Jahre ausgebucht. Das hat er vielen geübten Händen in der Werkstatt, seiner Genauigkeit und seinem Respekt gegenüber der „Instrumentenhoheit” zu verdanken – und auch seinem guten Gehör: „Das Gehör für Klang und Töne kann man lernen, finde ich. Ein Musikverständnis sollte ein Instrumentenbauer trotzdem mitbringen! Und doch … ein Orgelbauer muss nicht unbedingt Orgel spielen können ... Ich selbst kann es nicht”, gibt Oswald grinsend zu und macht sich wieder unermüdlich an die Arbeit.