Ein Tal voller Geschichte(n)
Karersee, 1893. Sümpfe, Gestrüpp und die unberührte, wilde Eggentaler Natur prägen das Bild eines ganz besonderen Ortes. In Carezza soll der erste Bau auf einer Höhe von 1.630 Metern entstehen, der über elektrischen Strom verfügt. Der Grundbesitzer Christomannos beauftragt die Architekten Musch und Lun für das innovative Projekt, das für die damalige Zeit große Herausforderungen mit sich bringt: Zunächst wird der Baugrund trockengelegt, dann errichtet man ein Kleinkraftwerk für die Energieerzeugung sowie ein eigenes Sägewerk, eine Ziegelei, Kalköfen und Unterkünfte für die Arbeiter. In der Nähe der Planggenschwaige legt man außerdem einen Porphyrbruch frei.
Drei Jahre später wird das Grand Hotel Carezza feierlich eröffnet. Mit Einbruch der Dunkelheit werden im Beisein des mitteleuropäischen Adels alle Fenster mit Strom beleuchtet – zur damaligen Zeit ein absolutes Highlight. Ein Jahr später wird die Hotelanlage um eine Kapelle und zu Beginn des 20. Jahrhunderts dann um Tennisplätze, Parks, Wiesen und einen Spielplatz erweitert. Auch einer der ersten Golfplätze Südtirols – der heutige Golfclub Carezza – zählt zum exklusiven Angebot des Grand Hotels.
Das besondere Flair des Hotels und vor allem natürlich jenes des neu zugänglichen Tales, locken den europäischen Hochadel an den Karer See: Kaiserin Sissi weilt bereits 1897 im Grand Hotel, andere politische Repräsentanten tun es ihr gleich. Auch Krimi-Autorin Agatha Christie, Winnetou-Autor Karl May und der österreichische Schriftsteller Arthur Schnitzler waren berühmte Gäste. Sogar Winston Churchill verbringt hier einige Jahre später mit seiner Ehefrau seinen Urlaub – und lässt sich von der eindrucksvollen Kulisse der Dolomiten beim Malen inspirieren.
Wenn alles anders kommt …
15. August, 1910. Um 09.45 Uhr morgens bricht im Grand Hotel ein Großbrand aus. Zwar werden keine Personen verletzt, doch der Sachschaden ist erheblich. Man lässt sich nicht entmutigen: Nach zwei Jahren des Wiederaufbaus steht das Grand Hotel Carezza in seiner ursprünglichen Pracht da – und mit fast 500 Betten verfügt es über eine noch größere Gästekapazität als vorher. Während des ersten Weltkrieges dient das Hotel dann der österreichischen Generalität als Stützpunkt – und die Funktion als Hotelbetrieb wird erst 1925 wieder aufgenommen. Doch das Glück vom neuen Tourismus hält auch dieses Mal nicht lange an. 1943 wird das Hotel von der deutschen Wehrmacht beschlagnahmt. Erst vier Jahre später kann das Grand Hotel endlich wieder als solches seine Tore öffnen.
Seit jeher ist das Grand Hotel Carezza also über die Grenzen hinaus bekannt und erzählt nicht nur seine eigene, von Höhen und Tiefen geprägte Geschichte, sondern auch jene des Eggentaler Fremdenverkehrs. Dem Brand-Unglück von 1910 ist immerhin die erste dokumentierte Autofahrt auf der Eggentaler Straße zu verdanken.
Der Weg in die Zukunft
Aber auch diese Geschichte wollen wir von vorne erzählen: Die Eggentaler Straße wird bereits 1859 vom Ingenieur Franz Schweighofer geplant und in nur acht Monaten gebaut – also eine ganze Weile vor dem Hotel! Die Geologie des Tals stellt eine große Herausforderung für den Bau dar – doch die Motivation ist größer. Immerhin gibt es im Tal einen gewaltigen Schatz, der einer breiteren Masse zugänglich gemacht werden soll: die Dolomiten! Auch die Erzeugnisse des Tales (Holz usw.) sollen durch die Umsetzung dieses infrastrukturellen Projektes leichter in die Stadt befördert und vermarktet werden können. Und natürlich ist der Bau der Eggentaler Straße damals die Grundlage zur Erschließung weiterer Gebiete im Tal – zudem ermöglicht er auch den Bau der Welschnofner, Deutschnofner Straße, sowie der Dolomitenstraße, die bis nach Cortina d’Ampezzo führt. 1861 wird die Straße eröffnet und erfreut sich – nicht nur bei den Bewohnern – großer Beliebtheit: Das Eggental als Eingangstor zur Zauberwelt der Dolomiten. Der Fremdenverkehr … boomt!
Die Sicherung der Straße stellt aufgrund der Gelände- und Witterungsverhältnisse eine wiederkehrende Herausforderung dar – der Straßenverlauf muss aufgrund von Erdrutschen, Steinschlägen und Unwettern immer wieder verlegt werden.
Automobile im Eggental
Nach dem Großbrand in Carezza fährt der damalige Bezirkshauptmann Haymerle mit seinem Auto zum Grand Hotel, um sich über die Sachlage zu informieren – das ist deshalb erwähnenswert, weil zu der Zeit auf der gesamten, sehr schmalen und steilen Eggentaler Straße noch ein striktes Automobil-Verbot herrscht. Für die Dolomitenstraße gilt dasselbe. Durch die Gründung einiger Automobil-Clubs, die sich für die Befahrbarkeit der Straßen im Tiroler Gebiet einsetzen, wird das Verbot im Juni 1911 aufgehoben. Es dauert noch bis 1916/17, bis auch die ersten LKWs passieren dürfen. Im ersten Weltkrieg erlangt die Eggentaler Straße eine neue Bedeutung und wird so weitergebaut, dass sie an die Dolomitenstraße anschließen kann. Der Automobilverkehr im Tal nimmt zu – und auch die Eggentaler Straße muss durch Anpassungen neuen Anforderungen gerecht werden. Viele Holzbrücken werden durch Steinbrücken ersetzt, der Unterbau der Straße wird verstärkt, die Fahrbahn wird verbreitert. Die erste Automobilfahrt nach Deutschnofen gelingt übrigens erst Anfang der 30er-Jahre!
Auszug aus dem Buch "Die Eggentaler Straße" von Kathrin Eisath: Link
Spuren und Erinnerungen
Der Bau der Eggentaler Straße war also Eggentals Weg in eine wirtschaftliche und gleichzeitig touristische Zukunft. Kommt man heute ins Eggental kann man noch immer Überbleibsel von damals erspähen. Und das Grand Hotel Carezza ist heute eine Ferienappartement-Anlage – der historische Speisesaal sowie das Hallenbad sind noch immer in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Wenn man im Golfclub Carezza seinen Schläger schwingt, fühlt man sich ein bisschen wie der Adel von Damals. An den Initiator des Hotels erinnern übrigens der Theatersaal „Christomannos“ und der Schriftzug „Restaurant Christomannos-Stube“.
Ach, und Agatha Christies Romanfigur Inspektor Poirot recherchiert noch heute im Rosengarten-Latemar-Gebiet für seinen neuesten Fall – nachzulesen auf den Seiten des Krimis „Die großen Vier“. :-)
Quellenangabe:
„Die Eggentaler Straße“, Kathrin Eisath (Athesia-Tappeiner-Verlag)