Das Eggental nach dem Sturm
Sturmholz. Windwurf. Windbruch. Das sind Bezeichnungen für Bäume, die aufgrund starker Stürme entwurzelt oder geknickt wurden – sie beschreiben, was nach der Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 2018 im Eggental übrig geblieben ist.
Mit dem Durchzug des Tiefs Vaia kam es zu extremen Druckunterschieden im Alpenraum. Es tobten heftige Orkanböen mit bis zu 130 km/h. Die Kraft dieser Böen riss Bäume samt ihrer Wurzeln aus dem Boden: 5.900 Hektar Waldbestand in ganz Südtirol sind dem Sturm zum Opfer gefallen – das ist eine Fläche von etwa 8.300 Fußballfeldern. Allein in den Eggentaler Wäldern wurden dabei ca. 1000 Hektar, also 1.300 Fußballfelder, umgeworfen. Rund 500.000 Kubikmeter Holz fielen zu Boden, dies entspricht in etwa einem Volumen von 12.000 Autobussen.
Hauptsächlich waren die Waldzone zwischen Welschnofen und dem Karerpass sowie jene zwischen Deutschnofen und Aldein betroffen. Die Straße von Welschnofen zum Karerpass war aufgrund umgefallener Bäume mehrere Tage lang gesperrt und konnte nur dank der freiwilligen Arbeit von Feuerwehr und Helfern freigelegt werden. Durch den Windwurf kam es auch zu Schäden und Unterbrechungen in der Stromversorgung, welche ebenfalls dank raschem Eingreifen der zuständigen Unternehmen behoben wurden.
Die Aufräumarbeiten begannen also sofort nach dem Jahrhundertsturm Vaia und wurden ohne Pause fortgesetzt, auch im Winter. Dank umfangreicher Investitionen der Forstbehörde konnten die Forststraßen wieder instandgesetzt, verbessert, verbreitert und zum Teil sogar neu gebaut werden, um die Aufarbeitung und den Abtransport zu ermöglichen und zu erleichtern. Mit hochmechanisierten Holzerntemaschinen und Tragerückschleppern halfen Firmen und Sägewerke auch aus Deutschland und Österreich mit. Liegende Äste und Stämme wurden zügig entfernt und fachgerecht eingelagert.
Ein tierisches Problem
Einer der Hauptgründe für die Eile beim Aufräumen war ein sechsfüßiger, besonders gefürchteter Schädling: der Borkenkäfer. Er bohrt sich in die Baumrinde und hinterlässt dort seine Larven. Im Schadholz vermehrt er sich besonders schnell, befällt anschließend jedoch auch den gesunden Wald. Darum wurden von den Forststationen der betroffenen Gebiete Borkenkäferfallen aufgestellt, um die Entwicklung und Vermehrung dieses Schädlings zu überwachen. In Kooperation mit der Universität Padua wurde auch die Populationsdynamik der Holzbrüter untersucht, um ihre Ausbreitung soweit möglich einzudämmen. Das gesamte Gebiet wurde sorgfältig beobachtet, um befallene Bäume rechtzeitig ausfindig zu machen und entfernen zu lassen.
Den zügigen Fortschritt dieser Aufräumarbeiten verdankte das Eggental der guten Zusammenarbeit zwischen den drei Eggentaler Gemeinden, Forststationen, Forstdömanen, Sägewerken und betroffenen Waldbesitzern: Die Sägewerke streckten den Waldbesitzern das Geld für die Schlägerungsarbeiten vor und lieferten deren Schadholz rasch an europaweite Abnehmer.
Ein Blick in die Zukunft
Der größte Schaden, den Vaia verursacht hat, war der wirtschaftlich-finanzielle Schaden gegenüber den Waldeigentümern: Durch das plötzliche Überangebot an Holz sanken die Holzpreise auf die Hälfte, die Aufarbeitung des Sturmholzes war jedoch um vieles aufwändiger, gefährlicher und dadurch auch kostenintensiver.
Grundsätzlich setzt das Land auf Naturverjüngung – und auch wenn der Natur Großteils freier Lauf gelassen wird, mussten manche zerstörte Schutzwälder aus Sicherheitsgründen aufgeforstet werden. Obwohl einige Teile des Eggentals in den nächsten 150 Jahren nicht mehr so aussehen werden wie vorher, so hat Vaia doch auch etwas Positives bewirkt, im Tal: Die Menschen sind näher zusammengerückt – und haben einmal mehr erfahren, wie stark ihre Talgemeinschaft ist. Es ist eine neue Dynamik entstanden, aus der die Kraft und der Wille kommen, den Folgen des Jahrhundertsturms gemeinsam zu trotzen und das Beste daraus zu machen.
Es ist nun einige Zeit vergangen, seitdem Vaia in Südtirol und weiteren nördlichen Gebieten Italiens gewütet hat – mittlerweile sind die Aufräumarbeiten abgeschlossen: 500.000 Kubikmeter Wurfholz wurden alleine im Eggental aufgearbeitet und das gesamte Wanderwegenetz in mittlerer Höhenlage (1.200–1.700 m), das vom Sturm beschädigt wurde, ist heute für die vielen Wanderer wieder zugänglich: Die Forst- und Wanderwege wurden aufgeräumt oder komplett neu erschlossen.
Und auch die Natur hat sich von Vaia nicht kleinkriegen lassen. Selbst in den stark betroffenen Gebieten bahnen sich bereits erste Gräser und Blumen ihren Weg. Ganz langsam beginnt die Natur also, sich zu erholen – aber sie nimmt sich die Zeit, die sie braucht, um wieder verschiedenste Pflanzen und Bäume wachsen zu lassen. Die Artenvielfalt wird in den nächsten Jahrzehnten auf diesen Flächen sogar ansteigen, was vor allem auf das neue Platz- und Lichtangebot zurückzuführen sein wird, denn dadurch erhalten auch Insekten und Tiere neuen Lebensraum. Im Laufe der Zeit wird sich neuer Wald auf ganz natürliche Weise bilden, angefangen bei den Gräsern und Kräutern, Sträuchern und Lichtbaumarten, Laub- und Nadelhölzern – bis, in ferner Zukunft, die Fichte das Gebiet zurückerobern wird.