Herzensangelegenheiten
Das Eggental hat sich aus tiefer Überzeugung der Nachhaltigkeit verschrieben. Viele Menschen in der Region engagieren sich in unterschiedlichen Projekten dafür, die einzigartige Landschaft um den Rosengarten und den Latemar lebens- und liebenswert zu erhalten. Wie so ein Engagement aussehen kann, das zeigen die Beispiele von drei Frauen, die nicht nur von Nachhaltigkeit reden, sondern sie von ganzem Herzen leben.
Mit kleinen Schritten zum großen Ziel
„Was wir schon alles erreicht haben“, sagt Katja Rechenmacher Fäckl, „ist uns wahrscheinlich gar nicht bewusst.“ Wenn sie, die Welschnofener Gemeindereferentin, Nachhaltigkeitsbeauftragte und Chefin im Hotel Friedrich über Nachhaltigkeit redet, dann hört sich das ziemlich unaufgeregt an. „Wenn jeder auch nur etwas Kleines ändert, kann etwas Großes entstehen“, sagt sie, während sie auf ihrer Terrasse entspannt den Blick auf das imposante Massiv des Rosengartens richtet.
Dass es rund um den Begriff Nachhaltigkeit bisweilen lebhafte Diskussionen gibt, das wird Katja als Unternehmerin und Kommunalpolitikerin nahezu täglich bewusst. „Das Thema wird von den einen zu extrem interpretiert und von anderen belächelt“, schildert sie ganz alltägliche Polarisierungen, die sie immer wieder beobachtet. Ihre Sichtweise auf das Thema Nachhaltigkeit ist dagegen verbindend – und vor allem ziemlich pragmatisch: „Es geht nicht darum, Menschen etwas wegzunehmen oder zu verbieten“, sagt sie und wirbt für gegenseitiges Verständnis: „Wir befinden uns vielmehr in einem einen Prozess, in dem wir gemeinsam in vielen kleinen Schritten etwas verändern, das sich für alle am Ende positiv auswirkt.“
Deswegen kann sie auch gar nicht so genau sagen, wann sie mit ihrem Mann Christof damit begonnen hat, das Thema Nachhaltigkeit in ihren Alltag zu integrieren. Seit der Übernahme und Renovierung des Hotels von Christofs Eltern im Jahr 2006 steht „höchste Qualität“ ohnehin ganz oben auf der Prioritätenliste von Katja und Christof. Lokale und regionale Produkte sollen ihre Gäste, wenn immer möglich, auf den Teller und ins Glas bekommen. Und seither beobachtet Katja zwei erfreuliche Entwicklungen: Einerseits, dass es in der Region bei Landwirten und Produzenten ein wachsendes Bewusstsein für kompromisslose Qualität gibt. Und andererseits, dass ihre Gäste genau diese Qualität immer mehr zu schätzen wissen: „Das Verständnis der Gäste für ehrlich gelebte Nachhaltigkeit wächst immer mehr“, sagt sie: „Viele wollen heut ganz genau wissen, was sie essen und trinken und woher wir unsere Lebensmittel beziehen.“

„Viele wollen heut ganz genau wissen, was sie essen und trinken und woher wir unsere Lebensmittel beziehen.“
Ganz besonders stolz ist Katja dann, wenn sie über die Früchte eines Vorzeigeprojekts reden kann, die sie zusammen mit Anna-Maria Kofler-Gall vom Kronlechnerhof in Welschnofen gesät hat. Hinter den „regionalen Kreisläufen“ verbirgt sich ein simples, aber naheliegendes Prinzip: Was im Eggental wächst und gedeiht, soll auch im Eggental gegessen werden. Was in Welschnofen im Kleinen angefangen hat, funktioniert inzwischen gemeindeübergreifend. Mittlerweile versorgen rund zehn Bäuerinnen und Bauern knapp 30 gastronomische Betriebe mit Gemüse und Eiern aus dem Tal.
Für Katja ein Paradebeispiel dafür, was touristische Betriebe zur Nachhaltigkeit beitragen können. „Was im Tourismus umgesetzt wird, das hat bislang keine andere Branche erreicht“, sagt sie, auch wenn ihr bewusst ist, dass der Grat zwischen Ökonomie und Ökologie ein schmaler sein kann. Dennoch ist sie stolz darauf, dass das Thema Nachhaltigkeit im Eggental in vielen Facetten sichtbar ist – dadurch, dass das Tal eine dezidierte Strategie ausgearbeitet hat und bereits konkret Projekte umgesetzt hat, die den sparsamen Umgang mit Wasser, die Achtsamkeit am Berg oder die Organisation von Green Events fördern.
Und trotzdem weiß Katja, dass es noch viel zu tun gibt. In punkto Individualverkehr zum Beispiel: „Gerade im ländlichen Raum ist das eine Riesen-Herausforderung“, wenngleich sie beobachtet, dass die meisten ihrer Gäste während des Urlaubs ihr Auto weitestgehend stehen lassen. Dennoch will sie sich dafür stark machen, das Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln nach und nach zu stärken. Auch, weil sie an ihren Kindern beobachtet, dass deren Interesse am Autofahren abnimmt: „Mein Sohn hat selbst mit 20 Jahren noch keinen Führerschein.“
Die Sensibilität der Jugend, sagt sie, sei heute viel größer als früher. „Natürlich wollen wir als Familie unseren Beitrag dazu leisten, diesen wunderbaren Platz, an dem wir leben, zu pflegen und zu erhalten“, sagt Katja. Diskussionen, die sie dazu in der Familie führt, inspirieren sie und bestärken sie in der Überzeugung, dass man gemeinsam in kleinen Schritten Großes erreichen kann. Auch ihre Arbeit in der Gemeinde ist von dieser Überzeugung geprägt: „Das Miteinander in der Dorfgemeinschaft ist das Um und Auf“, sagt Katja Rechenmacher Fäckl: „Es braucht den Willen von allen – damit wir nicht nur von Nachhaltigkeit reden, sondern sie auch richtig leben.“

Aus vollem Herzen im Einklang mit der Natur
„Wir können nicht einfach so weiter machen, wie wir es in der Vergangenheit gewohnt waren.“ Wenn Brigitte Zelger über Nachhaltigkeit spricht, merkt man schnell, wie sehr sie das Thema bewegt. Schon lange treibt sie der Wunsch nach Veränderung an, weshalb sie sich im Gemeinderat und Südtirol-weit für Nachhaltigkeit engagiert. Und auch im Hotel Pfösl, das Brigitte zusammen mit ihrer Schwester Eva sowie ihrem Schwager Daniel in Deutschnofen führt, sind sie schon lange auf den Pfad der Nachhaltigkeit eingebogen. „Jahrzehntelang hatten alle nur das Ziel zu wachsen, zu wachsen und zu wachsen“, sagt sie. Heute dagegen stehe der Tourismus vor ganz anderen Herausforderungen: „Es geht nicht mehr nur um die Ökonomie, sondern darum, wie wir unsere Orte lebendig halten und trotzdem im Einklang mit der Natur bleiben können.“
Das Eggental, davon ist Brigitte überzeugt, bietet die idealen Voraussetzungen für solch einen modernen und nachhaltigen Tourismus. „Wir haben hier so viel Ruhe, Platz und Rückzugsorte“, beschreibt sie ihre Heimat, die trotz der traumhaften Lage nicht durch ein Übermaß an Gästebetten überlaufen sei. Und seit sich die Region der Nachhaltigkeit verschrieben hat, eine Strategie entwickelte und sich zertifizieren ließ, blickt sie zufrieden auf so einige Erfolge: „Natürlich braucht es immer Menschen, die etwas vorantreiben – aber mittlerweile ist auf allen Ebenen in der Gemeinde und im Tal eine Leidenschaft für das Thema Nachhaltigkeit entstanden, die uns alle zusammen an einem Strick ziehen lässt.“
Bei Brigitte Zelgers bemerkenswerten Engagement stehen immer die Menschen im Mittelpunkt: sowohl diejenigen, die im Eggental leben als auch diejenigen die hierher zu Besuch kommen. „Wir müssen uns alle auf Augenhöhe begegnen“, lautet ihr Credo. Nur so entstehe gegenseitige Wertschätzung und eine gemeinsame Identifikation mit den nachhaltigen Ansätzen hier im Eggental. „Wenn wir sinnvolle Dinge entwickeln und nicht das Fleisch aus Irland holen und den Wein aus Kalifornien kaufen, dann profitieren am Ende alle davon.“

Im Betrieb achten Brigitte, Eva und Daniel deshalb genau auf einen bewussten Umgang mit Lebensmitteln, zumal ihnen bewusst geworden ist, dass rund 40 Prozent des CO2-Ausstoßes eines Hotels auf den Lebensmittelverbrauch zurückzuführen sind. Das ganze Küchenteam arbeitet ständig daran, möglichst wenig Abfälle zu produzieren und gesunde und attraktive Alternativen zu Fleischgerichten anzubieten. Konkrete und konsequente Maßnahmen haben sie gemeinsam dafür umsetzen müssen – die in vielen Situationen auch eine klare Haltung erforderten, etwa wenn Gäste erwarten, im Winter Erdbeeren serviert zu bekommen. „Wir sagen dann aber aus voller Überzeugung: das gibt es bei uns nicht.“ Saisonale und regionale Produkte kommen im Hotel Pfösl auf den Teller – einiges davon wächst sogar auf dem Permakultur-Acker direkt vor dem Haus. Und für die ganz besonderen Aromen sorgen die herrlich duftenden Kräuterbeete, die zu Brigittes Lieblingsplätzen gehören.
Dass sich Brigitte Zelger hier wohlfühlt, lässt sie in jeder Sekunde spüren. Hier kann sie Kraft tanken für ihre vielfältigen Aufgaben. Etwa beim Hotel- und Gaststättenverband, wo sie als Nachhaltigkeitsbeauftragte Konzepte entwickelt, um mit Destinationen und Betrieben zusammen Wege freizumachen, um nachhaltige Ideen in die Realität umzusetzen. Oder natürlich hier im Eggental und im Familienbetrieb, wo sie es als „Herzensprojekt“ ansieht, nachhaltig zu arbeiten. „Es ist sehr viel in Bewegung“, schildert Brigitte ihre Beobachtungen. Immer mehr Menschen machten sich zu immer mehr Themen Gedanken und fragten sich: „Muss ich das? Will ich das? Und kann ich das noch verantworten?“
Nachhaltig zu leben, das hat bei ihr im Betrieb deshalb viele Facetten. Der sorgsame Umgang mit der Natur gehört genauso dazu wie der achtsame Umgang mit sich selbst. Körperliche und mentale Balance durch gesunde Ernährung, aktive Bewegung in der Natur, die nötige Zeit zur Regeneration und die Freude am Schönen. Diese Dinge wollen Brigitte, Eva und Daniel einerseits ihren Gästen ermöglichen und gleichzeitig wollen sie so auch ihr eigenes Leben gestalten. Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – das bedeutet für sie gleichzeitig auch Verantwortung für andere zu übernehmen.
„Wir müssen alle den Weg, den wir eingeschlagen haben, weitergehen“, sagt Brigitte Zelger voller Tatendrang. Den Nachhaltigkeitsprozess im Eggental weiter voranzutreiben – das sei nicht nur ihr eigenes Herzensprojekt geworden. Brigitte Zelger glaubt, dass es das Herzensprojekt aller sein muss. Wenn jeder einzelne seinen Beitrag für eine bessere Umwelt und eine bessere Welt leiste, „dann können wir richtig was verändern – und das macht uns am Ende alle glücklicher und zufriedener.“
Ein Gemüsegarten fast wie im Paradies
Der Schafflbergerhof lag einst wie im Paradies. Hoch über dem Eggental thronte nicht mehr als ein kleines Haus mit einem winzigen Stadl, wo ein alter Bauer in einfachsten Verhältnissen lebte. Aber hier an dem steilen Südhang gab es andere Dinge im Überfluss: Wasser aus der eigenen Quelle und Sonne von morgens bis abends – weshalb Tomaten und viele andere Gemüsesorten besonders gut gedeihen konnten. Doch heute ist von dem alten Hof nichts mehr zu sehen. Stattdessen lebt dort Sabine Pichler Weissensteiner mit ihrem Mann Karl und ihren vier Kindern in einem modernen Wohnhaus mit allem Komfort. Doch auch wenn hier vieles geändert hat: die paradiesische Lage ist geblieben. Und am Hang hinter dem Haus sprießen mittlerweile auch wieder die Tomaten in voller Pracht.
„Eigentlich sind wir da so hereingerutscht“, sagt Sabine, während sie zusammen mit Karl in der herrlichen August-Abendsonne die Früchte ihrer Arbeit erntet und kistenweise Tomaten für die Auslieferung am nächsten Morgen vorbereitet. Sabines Vater wird sie dann in die gastronomischen Betriebe in Welschnofen und am Karerpass bringen, die Teil des Projekts „regionale Kreisläufe“ sind.

„Während woanders viel über das Thema Nachhaltigkeit geredet wird, praktizieren wir es einfach.“
Was hier am Schafflbergerhof und in rund zehn anderen großen Gärten des Tals wächst, soll am Ende auch hier verarbeitet und aufgetischt werden. Sabine erklärt den Kern des Projekts so: „Während woanders viel über das Thema Nachhaltigkeit geredet wird, praktizieren wir es einfach.“
Eigentlich wollten Sabine und Karl im Garten nur ein bisschen was für sich selbst anpflanzen. Ein paar Hühner, zwei Ziegen und ein bisschen Gemüse – um viel mehr wollten sie sich nicht wirklich kümmern, zumal Karl beruflich eingespannt ist und Sabine als Lehrerin in Elternzeit kaum eine ruhige Minute mit ihren vier Kindern hat. Aber als sie angefangen hatten, Tomaten auszusäen und auf einmal über 100 Jungpflanzen da waren, nahmen die Dinge ihren Lauf. Sabine und Karl merkten schnell, dass hier an den Hängen des Schafflbergerhofs tatsächlich alles fast von alleine wächst. „Eigentlich ist es ja unvorstellbar, was aus so einem kleinen Samen entsteht“, sagt Sabine. Und auf einmal hatten sie im Spätsommer viel mehr Tomaten, um sie selbst alle aufzuessen.
Sabine und Karl pflegen ihren Garten mit Liebe und Leidenschaft: „Wir empfinden das nicht als Arbeit, weil es uns sehr viel Freude bereitet“, sagen sie. Das führt dazu, dass am Schafflbergerhof inzwischen nicht nur Tomaten in allen Farben reifen, sondern auch Gurken, Zucchini oder Kohl. Ohne eine ordentliche Portion Idealismus und Leidenschaft wäre das alles natürlich nicht möglich. Aber wenn das Gemüse reif ist, dann freuen sich nicht nur die gastronomischen Betriebe auf die Lieferungen aus dem idyllischen Garten. Auch Sabine, Karl und die Kinder wissen zu schätzen, was dann zuhause auf den Tisch kommt. „Wir Menschen leben ja in erster Linie vom Essen und vom Trinken“, sagt Sabine – und deshalb ist es ihr ganz besonders wichtig zu wissen, dass ihr eigenes Gemüse nicht mehr als Wasser, Sonne, Zeit und Pflege braucht, um zu reifen: „Natürlich merkt man das dann auch am Geschmack.“
Tomaten kommen deshalb bei Sabine nur aus dem eigenen Garten auf den Tisch: „Wir kaufen keine mehr woanders“, sagt sie. Gut, dass die Tomatensaison bei ihr fast ein halbes Jahr lang dauert. Die ersten sind schon im Juli reif – und die letzten können, wenn sie rechtzeitig geerntet werden, im Keller bis an Weihnachten nachreifen. „Wir probieren immer neue Dinge aus“, sagt Sabine. Dazu gehört nicht nur, die Lagerung zu optimieren, sondern auch neue Sorten anzubauen und jeden Tag dazuzulernen. Dass dabei nicht immer alles klappt, das sieht sie allerdings ganz entspannt. Genau so entspannt wie sie mit ihrer Familie das Leben auf dem paradiesischen Gelände des alten Schafflbergerhofs genießt. Hier arbeiten sie viel, aber sie lachen auch viel zusammen. Karl unterstützt sie nach Feierabend und die Kinder helfen auch mit, wenn auch nicht immer mit gleichbleibender Begeisterung. Das schweißt sie als Familie zusammen – und hin und wieder nehmen sie sich eine Auszeit vom Garten, steigen zusammen ins Auto und fahren für eine Woche ans Meer. „Ansonsten“, sagt Sabine und strahlt dabei übers ganze Gesicht, „brauchen wir nicht viel Urlaub. Weil wir leben hier ja wie im Urlaub.“